Ausgewählte Gedichte
Ein Mensch, still blühend und verborgen,
Hat sieben Tanten zu versorgen,
Die, jede Arbeit streng vermeidend,
Sich von Geburt an fühlen leidend.
Der Mensch, vermeinend, er sei's schuldig,
Erträgt das christlich und geduldig.
Doch eines Tags, wer weiß, warum,
Denkt er: Wieso? Ich bin ja dumm!
Er packt den Koffer, sagt kein Wort,
Reist vielmehr mir nichts, dir nichts, fort.
Die sieben Tanten sind zur Stund
Erst sprachlos und dann kerngesund.
Ein Mensch, der eine Freundin hatte,
Ist jetzt, seit Jahren schon, ihr Gatte.
Er hat's mit diesem Weibe schwer:
Es redet nämlich dumm daher.
Er meint, es werde täglich schlimmer –
Doch nein – so dämlich war sie immer.
Es liegt nur an der Jugend Schwund:
Süß klang Geschwätz aus süßem Mund.
Ein Mensch, der an der Spritze steht,
Bekämpft den Brand, so gut es geht,
Bis er zuletzt nur noch zur Not
Entrinnt dem eignen Feuer-Tod.
Ein Unmensch, der am Stammtisch sitzt.
Hätt weitaus tapferer gespritzt.
Er überzeugt nun, gar nicht schwer,
Sogar den Menschen, hinterher,
Mit prahlerischen Redeflüssen,
Dass er hätt besser spritzen müssen.
Und aus dem Menschen wird zuletzt
Ein Feigling gar, der pflichtverletzt.
Und alle rühmen um die Wette,
Wie gut gespritzt der Unmensch hätte.
Ein Mensch, zum Wettlauf mitgestartet,
Hat Sieg und Ruhm sich kaum erwartet.
Was soll von sauerm Schweiß er triefen?
Genügt ihm doch ein »Ferner liefen…«
Schon hat er – und kann's selbst nicht fassen –
Die meisten hinter sich gelassen.
Nun strengt, am Ende fast der Bahn,
Verzweifelt er die Kräfte an:
Nur einer, aus dem Startgedränge,
Rennt ihm voraus, um Nasenlänge.
Vermutlich wär, noch als der letzt',
Der Mensch, der nichts auf sich gesetzt,
Gelassen blieben, neidlos-heiter:
Jetzt weint er schier – er ward nur Zweiter!
Ein Mensch, als Schwammerlkenner groß,
Hat ein beklagenswertes Los:
Dass er sich ausruht und gut nährt,
Aufs Land er zu Verwandten fährt –
Stattdessen heißt es gleich: Hurrah!
Jetzt ist der Schwammerlonkel da!
Schon wird mit Freund und Freundesfreund
Den ganzen Tag der Wald durchstreunt;
Dem Menschen wird zur sauren Pflicht
Der ambulante Unterricht:
Man hetzt ihn wild bergauf, bergab:
»Schau her, was ich gefunden hab!«
Als Lehrkraft ist er sehr von Nutzen
Besonders auch beim Schwammerlputzen,
Und nachts noch muss er überwachen
Die Kochkunst, Pilze einzumachen.
Und weil dort jeder Schwammerl mag
Und sie nicht aß seit Jahr und Tag,
Gibt's als Gemüs, Salat und Suppen,
Nur Schwammerl, ach, bis in die Puppen.
Die Kirchweihgans wird erst verspeist,
Wenn er schon wieder abgereist.
Ein Mensch, den es nach Ruhm gelüstet,
Besteigt, mit großem Mut gerüstet,
Ein Sprungbrett – und man denkt, er liefe
Nun vor und spränge in die Tiefe,
Mit Doppelsalto und dergleichen
Der Menge Beifall zu erreichen.
Doch lässt er, angestaunt von vielen,
Zuerst einmal die Muskeln spielen,
Um dann erhaben vorzutreten,
Als gält's, die Sonne anzubeten.
Ergriffen schweigt das Publikum –
Doch er dreht sich gelassen um
Und steigt, fast möcht man sagen, heiter
Und voll befriedigt von der Leiter.
Denn, wenn auch scheinbar nur entschlossen,
Hat er doch sehr viel Ruhm genossen,
Genau genommen schon den meisten –
Was soll er da erst noch was leisten?
Ein Mensch, nach längerm Eheleiden,
Fasst endlich Mut und lässt sich scheiden.
Kaum ist die Sache abgesprochen,
Hat er sich jäh den Hals gebrochen.
Sein Tod lässt selbst die Witwe kalt,
Doch bitter weint der Rechtsanwalt.
Ein Mensch wollt sich ein Weib erringen,
Doch leider konnts ihm nicht gelingen.
Er ließ sich drum, vor weitem Taten,
Von Fraun und Männern wohl beraten:
»Nur nicht gleich küssen, tätscheln, tappen!«
»Greif herzhaft zu, dann muss es schnappen!«
»Lass deine ernste Absicht spüren!«
»Sei leicht und wahllos im Verführen!«
»Der Seele Reichtum lege bloß!«
»Sei scheinbar kalt und rücksichtslos!«
Der Mensch hat alles durchgeprobt,
Hat hier sich ehrenhaft verlobt,
Hat dort sich süß herangeplaudert,
Hat zugegriffen und gezaudert,
Hat Furcht und Mitleid auferweckt,
Hat sich verschwiegen, sich entdeckt,
War zärtlich kühn, war reiner Tor,
Doch wie ers machte – er verlor.
Zwar stimmte jeder Rat genau,
Doch jeweils nicht für jede Frau.
Ein Mensch von Milde angewandelt,
Will, dass man Lumpen zart behandelt,
Denn, überlegt man sichs nur reiflich,
Spitzbübereien sind begreiflich.
Den Kerl nur, der ihm selbst einmal
Die goldne Uhr samt Kette stahl,
Den soll – an Nachsicht nicht zu denken! –
Man einsperrn, prügeln, foltern, henken!
Ein Mensch, der, sagen wir, als Christ,
Streng gegen Mord und Totschlag ist,
Hält einen Krieg, wenn überhaupt,
Nur gegen Heiden für erlaubt.
Die allerdings sind auszurotten,
Weil sie des wahren Glaubens spotten!
Ein andrer Mensch, ein frommer Heide,
Tut keinem Menschen was zuleide,
Nur gegenüber Christenhunden
Wär jedes Mitleid falsch empfunden.
Der ewigen Kriege blutige Spur
Kommt nur von diesem kleinen »nur« …
Ein Mensch liest, warm am Ofen hockend –
Indem das Wetter nicht verlockend –
Dass gestern, im Gebirg verloren,
Elendiglich ein Mann erfroren.
Der Mann tut zwar dem Menschen leid –
Doch steigert's die Behaglichkeit.
Ein Mensch hört staunend und empört,
Dass er, als Unmensch, alle stört:
Er nämlich bildet selbst sich ein,
Der angenehmste Mensch zu sein.
Ein Beispiel macht Euch solches klar:
Der Schnarcher selbst schläft wunderbar.
Ein Mensch pflückt, denn man merkt es kaum,
Ein Blütenreis von einem Baum.
Ein andrer Mensch, nach altem Brauch,
Denkt sich, was der tut, tu ich auch.
Ein dritter, weil's schon gleich ist, fasst
Jetzt ohne Scham den vollen Ast
Und sieh, nun folgt ein Heer von Sündern,
Den armen Baum ganz leer zu plündern.
Von den Verbrechern war der erste,
Wie wenig er auch tat, der schwerste.
Er nämlich übersprang die Hürde
Der unantastbar reinen Würde.
Ein Mensch erträumt, was er wohl täte,
Wenn wieder er die Welt beträte.
Dürft er zum zweiten Male leben,
Wie wollt er nach dem Guten streben
Und streng vermeiden alles Schlimme!
Da ruft ihm zu die inn're Stimme:
»Hör auf mit solchem Blödsinn, ja?!
Du bist zum zwölften Mal schon da!«
Ein Mensch, dem's ziemlich dreckig geht,
Hört täglich doch, von früh bis spät,
Dass ihm das Schicksal viel noch gönnte
Und er im Grunde froh sein könnte;
Dass, angesichts manch schwererer Bürde
Noch der und jener froh sein würde,
Dass, falls man etwas tiefer schürfte,
Er eigentlich noch froh sein dürfte;
Dass, wenn genau man's nehmen wollte,
Er, statt zu jammern, froh sein sollte,
Dass, wenn er andrer Sorgen wüsste,
Er überhaupt noch froh sein müsste.
Der Mensch, er hört das mit Verdruss,
Denn unfroh bleibt, wer froh sein muss.
Ein Mensch, auf seinem Weg, dem raschen,
Sieht auf der Fahrbahn eine Flaschen,
Die dort ein Unmensch unbekümmert
Hat liegen lassen, wüst zertrümmert.
Der Mensch, bedenkend, dass die Scherben
Leicht Radlern würden zum Verderben,
Will, Nächstenpflicht nicht zu versäumen,
Die Splitter still beiseite räumen.
Es war auch höchste Zeit zur Tat,
Denn siehe da, ein Radler naht
Und fährt, missdeutend das Geschrei
Des guten Menschen, stramm vorbei.
Dem Schlauch entfährt mit Knall die Luft.
»Ha!« schreit der Radler, »wart, Du Schuft,
Du Idiot, Dich will ich heißen,
Glasscherben auf die Fahrbahn schmeißen!«
Und eh den Sachverhalt er zeigt,
Fühlt sich der Mensch schon ohrgefeigt.
Der Mensch, im weitern Lebenslauf,
Hob nie mehr fremde Scherben auf.
Ein Mensch, der's eilig hat, hat Glück:
Ein Auto nimmt ihn mit ein Stück,
Ja, im Gespräch stellt sich heraus:
»Da bring ich Sie ja fast vors Haus! –
Nur ein Momenterl, bitte, ja,
Ich geb was ab – gleich wieder da!«
Der Mensch denkt, wartend mit Behagen:
»Das ist halt nobel, so im Wagen!«
Doch langsam fängt er an, zu bluten:
Versprach der Herr nicht, sieh zu sputen?
Da kommt er ja! Kaum, dass er sitzt,
Geht's fort schon, dass es nur so flitzt.
»Jetzt bloß noch einen Augenblick,
Ich schau was nach in der Fabrik!«
Der Wagen braust, der Wagen hält.
Und die Fabrik liegt aus der Welt.
Der Mensch, auf Gnad und Ungenaden,
Dem Herrn, der ihn zur Fahrt geladen,
Hier in der Wüste ausgeliefert,
Fühlt, wie es bröckelt schon und schiefert:
Erst reißt die Firnis stolzer Huld,
Dann, tiefer gehend, die Geduld.
Er wechselt nun, von Dank und Lob
Zu dem Entschluss: Bald werd ich grob.
Und wird's, wie jetzt der Herr erklärt,
Dass er noch schnell nach Schwabing fährt.
Zwei schwören nunmehr, die sich hassen:
Nie mehr mitfahren, – nie mehr lassen!
Ein Mensch hat – »gut, es bleibt dabei:
Am Samstagnachmittag um drei«-
Fürs Wochenende einen faden
Bekannten endlich eingeladen,
Was er ihm schon seit einem Jahr
Aus höhrer Rücksicht schuldig war.
Als hätt der Teufel es gerochen,
Dass unser Mensch sich fest versprochen,
Lässt hageln er auf diesen Tag
Aufforderungen, Schlag auf Schlag.
Worauf der Mensch seit Wochen wartet,
Jetzt kommt's daher, wie abgekartet.
Der Mensch, von Pflichtgefühl ummauert,
So schwer es ihm auch fällt, bedauert.
Die lauten Lockungen und leisem
An ihm zerschellen – er bleibt eisern.
Am Samstag früh kommt eine Karte,
Drin, dass der Mensch umsonst nicht warte,
Der Unmensch mitteilt, höflich-dreist,
Er sei heut ins Gebirg gereist.
Den Menschen zu besuchen, hätt er
Auch später Zeit, bei Regenwetter.
Ein Mensch, der beste Mensch der Welt,
Wird eines Tages angestellt
Und muss – er tut's zuerst nicht gern –
Laut bellen nun für seinen Herrn.
Bald wird er, wie es ihm geheißen,
Die Zähne zeigen, ja, gar beißen.
Er wird sein Amt – im Bild gesprochen –
Wild fletschend, wie der Hund den Knochen,
Den einer ihm missgönnt, verteidigen –
Ein schiefer Blick kann ihn beleidigen.
Dann wird er milder: Zahn um Zahn
Wird stumpf und fängt zu wackeln an –
Bis schließlich er, als Pensionist,
Fast wieder Mensch geworden ist.
Ein Mensch, statt dass er sich beklag
Darüber, dass kein Mensch ihn mag,
Prüf, als Gerechter, vorher sich:
»Genau genommen – wen mag ich?!«
Ein Mensch weiß aus Erfahrung: Lob
Darf kurz und bündig sein, ja grob.
Für Tadel – selbst von milder Sorte –
Braucht's lange, klug gewählte Worte.
Ein Mensch, ganz scheußlich abgehetzt,
Schwört, in den Urlaub fahr er jetzt –
Wozu auch jeder Kunde rät:
Vielleicht schon morgen sei's zu spät.
Sofort – schließt jeder seine Predigt –
Wenn meine Sache Sie erledigt,
Dann müssen Sie, mag's schlecht auch passen,
Entschlossen alles liegen lassen!
Ein Mensch – das trifft man gar nicht selten –
Der selbst nichts gilt, lässt auch nichts gelten.
Ein Mensch, der was geschenkt kriegt, denke:
Nichts zahlt man teurer, als Geschenke!
Ein Mensch wollt immer recht behalten:
So kam's vom Haar- zum Schädelspalten!
Ein Mensch erkennt: 's ist auch den Guten
Mehr zuzutraun, als zuzumuten.
Ein Mensch fühlt oft sich wie verwandelt,
Sobald man menschlich ihn behandelt!